Vor rund 9 Monaten habe ich die damaligen Release Notes von LibreOffice 7.6.0 so interpretiert, dass die LibreOffice-Entwickler und die dahinterstehende Foundation das Produkt weitgehend aufgegeben haben.
Und ich habe darüber spekuliert, dass LibreOffice in eine Art „Wartungsmodus“ versetzt wird und es nur noch Bugfix-Updates geben wird. Zum damaligen Blogbeitrag.
9 Monate später wird es Zeit, diese Vorhersage zu überprüfen.
Kurzes Fazit vorweg:
Ja, ich hatte Recht. Mit der Version 24.2 (neues Versionsschema) ist die grösste „Änderung“, dass die Dokumentwiederherstellung (die es schon seit OpenOffice-Zeiten gab) nun automatisch aktiv ist und nicht erst vom Nutzer aktiviert werden muss. Eine Grundeinstellung, die übrigens von den meisten Linux-Distributionen schon seit Jahren so gehandhabt wird.
Im August wird die Version 24.8 erscheinen. Als wichtigste Neuerung für LibreOffice Writer wird hier aufgeführt, dass man nun die Breite eines Kommentarfelds verändern kann.
Irgendeinen Hinweis auf die Integration einer generativen KI? Nö. Kollaboratives Arbeiten? Nö. Kann man LibreOffice endlich auf einem Smartphone oder Tablet installieren? Nö.
Wenn irgendwann in Zukunft jemand sagt, die Schuld am Untergang von LibreOffice liege bei Microsoft, Google oder sonst wem. Nein! LibreOffice hat sich das ganz und gar selbst zuzuschreiben.
Kollaboratives Arbeiten
Google war hier Vorreiter. 2006 hat Google ihr Google Docs veröffentlicht. Ein kleines Office, das komplett im Browser läuft. Mit der wichtigsten Eigenschaft überhaupt: Man konnte gemeinsam zur gleichen Zeit mit mehreren Personen an einem Dokument arbeiten.
Kennt ihr noch die alten Zeiten, wo Dokumente per E-Mail hin- und hergesendet wurden? Und man am Ende 17, 18 oder mehr Versionen hatte, weil jede Person irgendwo noch was hinzugefügt hat? Und irgendjemand aus der Gruppe musste dann am Ende alle Versionen des Dokuments sichten und die Änderungen von Hand zusammenführen.
Google hat 2006 mit dem kollaborativen Arbeiten die Welt verändert. Ich habe das damals in meiner Ausbildungszeit schon für Gruppenarbeiten etc. genutzt, weil es einfach so nützlich, simpel und genial war.
Hier merkte dann vor allem Microsoft, wie sehr sie mit ihrem Marktführerprodukt – Microsoft Office – im Hintertreffen waren. Und es zeigte sich schnell, dass dieses kollaborative Arbeiten nicht nur eine nette Spielerei war, sondern von der Wirtschaft direkt adaptiert wurde.
Mehrere grosse Unternehmen (Unternehmen, die zu den 300 grössten börsenquotierten Unternehmen der Welt zählen) haben Microsoft Office den Rücken gekehrt und sind zu Google gewechselt. Prominentes Beispiel ist hier „LafargeHolcim AG“, die 70’000 Arbeitsplätze in 70 Ländern auf dieser Welt umgestellt haben. Oder die Roche Holding AG – das grösste Pharmaunternehmen der Welt, die ebenfalls darauf gewechselt sind.
Man merkte schnell, dass hier Microsoft auf kaltem Fuss erwischt wurde. Die hatten kollaboratives Arbeiten definitiv nicht auf dem Schirm und es dauerte 7 weitere Jahre (2013), bis Microsoft Office diese Funktion auch beherrschte. 2016 ist Apple mit ihrer iWork nachgezogen und unterstützt seither ebenfalls kollaboratives Arbeiten.
Heute, im Jahr 2024, ist diese Funktion „völlig normal“ und so gut wie in jeder Office Suite vorhanden. Bei LibreOffice steht diese Funktion nicht mal auf der „ist geplant“ Liste.
Geräteunabhängiges Arbeiten
Raus aus dem Büro, ab in die Bahn und endlich nach Hause fahren. Kaum losgefahren, sieht man auf dem Smartphone eine E-Mail von einer Arbeitskollegin. Sie fragt, ob ich noch einen kurzen Blick auf eine Präsentation werfen könne, die sie eben fertiggestellt hat und morgen präsentieren muss.
Klar, kein Problem, Dokument direkt auf dem Smartphone öffnen. Folien durchsehen, ein paar Kommentare hinterlassen und die Arbeitskollegin während der Zugfahrt unterstützen. Ein Task, der sehr alltäglich und auch ziemlich normal ist.
Mit LibreOffice aber unmöglich. Selbst im Jahr 2024 (!) gibt es weder für Smartphones noch Tablets ein LibreOffice im Apple App bzw. im Google Play Store. Das ist einfach nur dumm. Die allermeisten Menschen verbringen heute mehr Zeit mit ihrem Smartphone als mit einem Desktop-Computer. Und entgegen allen Klischees verbringen die Menschen auch viel produktive Zeit mit ihren mobilen Begleitern.
Denselben Fehler hat damals schon Firefox gemacht und es hat sie massiv viel Marktanteil gekostet. Als Smartphones, wie wir sie heute kennen, 2007/2008 die Welt erobert haben, sah Mozilla keinen Grund, ihren Browser auch für Smartphones zu veröffentlichen.
Der Punkt ist halt, wenn man auf seinem Smartphone plötzlich Google Chrome nutzt, wird man das früher oder später auch auf all den anderen Geräten tun – weil die Synchronisation der Daten eben ein guter Pluspunkt ist.
Gegen 2007 hatte Firefox noch einen weltweiten Marktanteil von über 70 %, seither ist er nur noch Stück für Stück gefallen. Heute liegt er bei rund 3 %. Wie würde wohl der Marktanteil aussehen, wenn Firefox nicht erst 2011 (Android) bzw. 2016 (9 Jahre nach dem ersten iPhone…) erschienen wäre?
LibreOffice hat aus dem Firefox-Debakel bis heute nichts gelernt und bleibt ein Office nur für Desktop-Computer. Doch der Punkt ist hier der gleiche wie bei Firefox. Wenn ich mich auf meinem Smartphone z. B. an Google Docs oder Microsoft Office gewöhne, werde ich diese Produkte danach auch auf meinem Desktop-Rechner verwenden.
KI-Integration
Seit letztem Jahr ist KI nicht mehr wegzudenken. Und wenn man sich alleine die Fortschritte von KI im letzten Jahr ansieht, merkt man schnell, dass die Art und Weise, wie wir Computer bedienen und Programme nutzen, sich massiv verändern wird.
Und ja: KI ist auch in Office ein sehr grosses Thema. Bei Google Docs kann man KI bereits aktivieren. Microsoft hat ihren CoPilot von Paint bis Excel inzwischen überall eingebaut. Apple hat gestern angekündigt, die erste kommerzielle „Privacy AI“ in all ihre Produkte einzubinden. Selbst kleine Unternehmen wie SoftMaker Office haben in ihrer aktuellsten Version schon seit Monaten eine KI integriert.
Bei LibreOffice? Da gibt es nicht mal Pläne, an sowas zu arbeiten. Das Thema existiert dort einfach nicht. Und dieser Umstand dürfte wohl einer der letzten Nägel sein, die in den Sarg von LibreOffice eingeschlagen werden.
Fazit
LibreOffice hat alle neuen „Office“-Entwicklungen schlicht und einfach verschlafen. Und selbst Jahre später nicht eingepflegt. Es ist ein Office, das sich im Grunde noch so bedient, wie sich ein Office in den 90er Jahren bedient hat.
Das Problem ist, die Arbeitswelt und auch die Welt des Durchschnitt-Nutzers ist aber nicht in den 90ern stehen geblieben. Für bestehende und konservative Nutzer wird das weiterhin mehr als gut genug sein. Neue Nutzer wird das Projekt aber mit all den fehlenden Funktionen kaum noch gewinnen können.
*Kleines Detail: Den Text habe ich mit Apple Pages geschrieben. Nicht weil ich iWork für ein gutes Office halte, sondern weil ich mal sehen wollte, wie sich Apple Pages in den letzten Jahren verändert hat 😉
Schreibe einen Kommentar